Eine Tanztheater-Performance und Auseinandersetzung mit Kriegstätern und Opas in Bügelfaltenhosen.
Tanz und Choreografie: Josefine Patzelt
Musik: Eric Eggert
Dramaturgische Begleitung: Lenah Flaig
Licht: Garlef Keßler
Bühnenbild: Luka Patzelt
Management: Saija Kontio
Übersetzung: Anna-Luella Zahner
Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Quartier am Hafen
„Diese Tanztheater-Performance “Letters to a Grandfather” ist außergewöhnlich, ist tänzerisch großartig, ist theatral perfekt und vor allem inhaltlich überzeugend. Das Stück ist ein Solo, das von der tänzerischen und theatralen Präsenz von Josefine Patzelt lebt.“
UPCOMING SHOWS
28.10.2022, 20:00 | Köln, Tanzfaktur | Letters to a Grandfather
29.10.2022, 20:00 | Köln, Tanzfaktur | Letters to a Grandfather
10.12.2022, 20:00 | Köln, Barnes Crossing | Letters to a Grandfather
11.12.2022, 18:00 | Köln, Barnes Crossing | Letters to a Grandfather
PAST SHOWS
11.06.2021, 20:00 (Premiere)(digital, auf Grund von Covid19)
12.06.2021, 20:00 (digital)
13.06.2021, 20:00 (digital)
10.06.2022, 20:00 | Krefeld, Fabrik Heeder @ FIRST & FURTHER STEPS – Festival
25.06.2022, 20:00 | Bonn, Brotfabrik @ Into the Fields – Festival
Deutsch:
„Wir wurden von unseren Eltern geschickt, die Mörder zu lieben, die sie nicht mehr lieben konnten. Wir wurden von unseren Lehrer_innen geschickt, nach den Morden zu fragen, von denen ihnen niemand erzählte. Wir werden von der Politik geschickt, zu erinnern, was wir nie erlebten. Wir sollen all das aufsaugen, was sie kollektive Erinnerung nennen. Aber das ist keine kollektive Erinnerung, das ist ein Mann in einer Bügelfaltenhose, das ist Opa.“
Letters to a Grandfather ist eine Auseinandersetzung mit der Beziehung zu einem Menschen, der sowohl Großvater als auch Soldat war. Vor diesem Hintergrund geht es um das Aushandeln der Beziehung zu ihm in Bezug auf gesellschaftliche Ideale, familiäre Strukturen und einer gefühlten historischen Verantwortung als Enkelin eines Kriegstäters.
Was zu diesem Stück drängt ist die spezifische historische Konstellation, die für unsere Zeit so prägend ist und die gleichsam langsam verschwindet: Ein stetig wachsendes Aufkommen von nationalistischem Gedankengut während der letzten Jahre, in denen Zeitzeug_innen des 2. Weltkriegs noch leben. Wir befinden uns zwischen einer Vergangenheit, die nicht abgeschlossen ist, und einer Zukunft, die noch nicht eröffnet ist – und während unsere Generation sich immer schneller entscheiden muss, was Zukunft für uns bedeutet, leben Menschen, denen die Schuldfrage bislang gestellt wurde, ab.
Können wir Verhaltensmuster offenlegen, die einer anderen Vergangenheit als unserer eigenen geschuldet sind?
„Letters to a Grandfather“ ist ein Brief unserer Generation an eine Vergangenheit, die wie ein Nebel unseren Horizont verschleiert. Es ist aber auch ein Brief, der auch von anderen Generationen gelesen werden kann, denn er ist nicht als Vorwurf formuliert.
Eine Erinnerungspalette über das Erbe der Schuld und das Schweigen eines Opas.
Das Stück nähert sich dieser Thematik sowohl durch persönliche Recherche als auch durch eine Vielzahl von Interviews mit Menschen verschiedener Generationen. Teile dieser Interviews werden auch im Stück gezeigt.
English:
“We were sent by our parents to love the murderers they could no longer love. We were sent by our teachers to ask about the murders that no one told them about. Politicians sent us to remind us of what we have never experienced. We’re supposed to soak up all that they call collective memory. But that’s not a collective memory, that is a man in creased trousers, this is grandpa.”
A steadily growing emergence of nationalistic ideologies during the past few years, during which contemporary witnesses of the Second World War are still alive – the piece „Letters to a Grandfather“ speaks out of this specific historical constellation, which has been very formative for our time and which is slowly disappearing.
We are caught between a past that is not over and a future that has not yet started – and while our generation has to decide more and more rapidly what future means for us, people who have been asked the question of guilt so far are passing away. Can we reveal patterns of behavior that are rooted in a past other than our own?
“Letters to a Grandfather” is a letter from our generation to a past that obscures our horizon like a fog. But it is also a letter that can be read by other generations, as it is not phrased as an accusation.
An array of memories about the legacy of guilt and the silence of a grandpa.
KRITIKEN
- tanzweb.org / Klaus Keil / 11.06.2021
- „Diese Tanztheater-Performance “Letters to a Grandfather” ist außergewöhnlich, ist tänzerisch großartig, ist theatral perfekt und vor allem inhaltlich überzeugend. Das Stück ist ein Solo, das von der tänzerischen und theatralen Präsenz von Josefine Patzelt lebt.“
- tanzweb.org / Bettina Trouwborst / 10.06.2022
- „„Es sind ihre enorme Bewegungsqualität, die choreografische Originalität und Vielseitigkeit in Verbindung mit der inhaltlichen Substanz, die diese jüngste Arbeit – uraufgeführt per Livestream während des Lockdowns vor einem Jahr – zu einem Ereignis machen.“
- Westdeutsche Zeitung / Michaela Plattenteich / 12.06.2022
- „Kann so ein bis heute brisantes Thema Stoff für ein Tanzstück sein? Die junge Kölner Choreografin Josefine Patzelt beweist dies jetzt eindrucksvoll.“
“Letters to a grandfather”
Tanztheater-Performance von und mit Josephine Patzelt
Von KLAUS KEIL
(Besprechung der Live gesehenen Generalprobe)
Online noch 12./13.06.2021
Nach dem Historiker-Streit der 1980er-Jahre über die „Singularität des Holocaust“ ziehen, angefacht von der veränderten politischen Lage (siehe Gaulands Fliegenschiß), wieder dunkle Historiker-Wolken übers Land, die den Nationalsozialismus auf einen Betriebsunfall der deutschen Geschichte reduzieren wollen (Der Spiegel, Nr.23). Mit dabei Hedwig Richter, geb. 1973, Professorin an der Bundeswehr-Uni in München, die ein „einseitiges Verständnis unserer Vergangenheit“ beklagt (ebd.).
Kein Verständnis für diese Geschichtsklitterung hat das Duo Josefine Patzelt (Choreografie/Tanz) und Lenah Flaig (Dramaturgische Begleitung), das die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit eines Großvaters und seinem Schweigen darüber zum Thema einer eminent politischen Tanztheater-Performance gemacht hat.
Wie selten in einer Inszenierung spürt man in diesem Stück die persönliche Betroffenheit. Eine Betroffenheit, die dieses Stück überzeugend und thematisch glaubwürdig macht. Ganz unspektakulär und unaufgeregt beginnt die gut einstündige Solo-Performance, die Konflikt, Kampf und Kontroverse erwarten lässt.
Doch die Dissonanz der Thematik liegt in der Eingangs-Sequenz vorerst in einer Soundcollage verzerrter Musikfetzen, die von Tonbändern zu kommen scheinen. Symbolhaft mittendrin in einem Bandsalat alter Tonschnipsel hockt die Protagonistin. Nur noch Erinnerungswert scheinen diese Schnipsel zu haben und sich kaum wieder zu einem harmonischen Ganzen fügen lassen. Wie hingeworfen beginnt Josefine Patzelt liegend mit einem Solo, fragt „Was ist geblieben…“ und… „Es hätte nicht geschehen dürfen…“. Während ihrer Performance artikuliert sie immer wieder das Sagbare und Unsagbare durch Sprache, und natürlich durch den Tanz.
Ihre Bewegungen formen einen gequälten Körper. Als sei ihr der eigene Körper unangenehm sitzt sie mit dem Rücken zum Publikum. Wie fragend streckt sie dabei ihre Arme zum Publikum. Stille.
Sie reibt sich kraftvoll mit beiden Händen ihre Oberschenkel, als wolle sie sich von etwas befreien. Es ist ein Kampf, den sie immer wieder in vielfältigen Bewegungsformen mit sich selbst zu führen scheint. In wildem Tanz durchschüttelt sie den ganzen Körper, als würden die unbewältigten Erinnerungen dabei abfallen. Im Tanz ist ihr der Boden ein imaginärer Partner, dem sie sich anvertraut. Er gibt ihr Halt, treibt sie voran, fängt sie auf, auch wenn ihre offenen Fragen dabei ins Leere gehen.
Als wolle die Dramaturgie der Tänzerin als auch dem Publikum etwas Erholung von diesem so packenden ersten Teil gönnen, werden in einem zweiten Teil kurze filmische Statements von Frauen und Männern über Projektion eingeblendet. Es ist ein wichtiger Teil der Performance, denn er richtet den Fokus auf die eigene Betroffenheit, die Diversität der Menschen und ihrer Meinungen.
Ein besonderer Höhepunkt im dritten Teil ist der Monolog der Protagonistin, von dem sie sich sicherlich wünschte, es wäre ein Dialog mit Opa. War er ein „Kriegstäter“ oder trägt er seine Bügelfaltenhose zu Recht? Dann aber könnte er sein Schweigen doch brechen? Wie oft machen wir uns durch Schweigen schuldig?
Der tänzerische Monolog mit dem Opa-Sessel, davor das Kaffee-Gedeck ist bewegend und faszinierend zugleich. Es ist der Platz, der üblicherweise Sicherheit und Geborgenheit symbolisiert.
Kopfüber taucht die Tänzerin in diesen Platz der Geborgenheit ein – und wird enttäuscht. Josefine Platzelts Solo mit Sessel ist ein großartiger emotionaler Höhepunkt. Mal hat sie ein Bein über der Lehne, mal liegt sie über beide Lehnen gestreckt, mal erklimmt sie ihn wie eine Bergsteigerin, dann rutscht sie ihn hinab. Es ist ein Tanz des Aufbegehrens nach langer Auseinandersetzung, vielleicht auch ein Moment der Erkenntnis, es nie zu erfahren.
Wie sagen es Josefine Patzelt und Lenah Flaig: „Letters to a grandfather“ ist ein Brief unserer Generation an eine Vergangenheit, die wie ein Nebel unseren Horizont verschleiert.
Diese Tanztheater-Performance “Letters to a Grandfather” ist außergewöhnlich, ist tänzerisch großartig, ist theatral perfekt und vor allem inhaltlich überzeugend. Das Stück ist ein Solo, das von der tänzerischen und theatralen Präsenz von Josefine Patzelt lebt.